Wie kann das Thema „Sexualität und Beeinträchtigung“ in all seinen Facetten erfasst werden? Wie können Liebe und Sexualität als etwas Schönes wahrgenommen und vermittelt und wie kann alles rund um die Verhütung gut verstanden werden? Wie kann man Missbrauch verhindern und Gewalt vermeiden? Wo müssen wir Grenzen setzen und wo wollen wir Grenzen einreißen?
Aufgrund dieser und ähnlicher Fragestellungen führte die Geschäftsführung von Die Ostholsteiner 2012 einen regelmäßig tagenden „Qualitätszirkel Sexualität“ ein, u.a. mit dem Auftrag, Leitlinien zu dieser Thematik zu erarbeiten.
Parallel zur Arbeit im „Qualitätszirkel Sexualität“ wurden 10 Mitarbeiter*innen aus fast allen Bereichen in einer fünfmoduligen Seminarreihe „Sexualität und Beeinträchtigung“ von ausgebildeten Sexualpädagogen (pro familia) geschult. Für alle Mitarbeiter*innen in der Begleitung besteht seitdem die Pflicht zu einer eintägigen Fortbildung.
Die Erarbeitung der Leitlinien ist seit 2014 abgeschlossen. Von Anfang an wurden diese in Leichter Sprache erarbeitet, so dass deutlich wird, dass diese Leitlinien für alle Menschen bei Die Ostholsteiner gelten. Diese sechs Leitlinien sind in einem gelben Ordner zusammengefasst und stehen in allen Gruppen vor Ort zur Einsicht und können individuell genutzt werden. Gleichzeitig sind die Leitlinien auch im unternehmenseigenen Intranet verortet – hier finden sich zudem noch viele Ergänzungen sowie eine Fülle unterschiedlichster Materialien sowohl in „fachlich-schwerer“ wie auch in Leichter Sprache.
Im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Leitlinie 5 „Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben ohne Gewalt“ wurde auch eine Verfahrensanweisung (VA) „Umgang mit Gewalt“ erarbeitet, die eine Handlungsanleitung bei Verdachtsfällen oder akuten Übergriffen beschreibt. Ein Teil dieser VA ist der „Dokumentationsbogen Gewalt“, der grundsätzlich immer bei Vorkommnissen ausgefüllt wird.
Das Erfassen ist allerdings kein Selbstzweck, sondern es sollten sich Hilfestellungen, Angebote oder auch juristische Schritte daraus ableiten. Betroffene und beschuldigte Personen benötigen oft beide Unterstützung, u.a. durch Stärkung und Abgrenzung (z.B. Selbstbehauptungskurse) oder auch Aufzeigen von Alternativen (z.B. Begleitung zu sex. Dienstleistungen, alternative Orte der Begegnung benennen oder beim Finden unterstützen). Sehr eng kooperieren wir hier auch mit Beratungsstellen oder im Bedarfsfall mit der Polizei.
Seit 2019 werden die erstellten Gewaltbögen erfasst, ausgewertet und evaluiert. Mehrfach-Betroffene und Mehrfach-Beschuldigte können so besser erkannt bzw. „herausgefiltert“ werden. Die Gewaltbögen-Auswertungen werden mit entsprechenden Rückmeldungen an die Einrichtungen zurückgespiegelt und in den Teams werden die Themen Sexualität und Gewaltschutz wiederkehrend besprochen.
Neben der Pflichtfortbildung werden spezifische Fortbildungen zu besonderen Themeninhalten (z.B. Sexual-Assistenz, Pornografie) regelmäßig für Mitarbeiter*innen angeboten.
Für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es im Rahmen des Kurskonzeptes regelmäßig u.a. die Fortbildung „Rund um die Liebe“, die von zwei Mitarbeitenden von pro familia durchgeführt wird. Des Weiteren sind bereits feste Frauen- und Männergruppen eingerichtet sowie weitere geplant.
Mittlerweile haben wir ein darüberhinausgehendes „Konzept Sexualität und Gewaltschutz“ erarbeitet, dass u.a. Aspekte zur Personalauswahl, Hinweise zu Informationsmaterialien, einen Verhaltenskodex sowie eine Evaluation der Gewaltvorfälle beinhaltet. Zudem sind wir mit einem vielfältigen Netzwerk zu diesen Themen verbunden.
Im Jahr 2023 haben wir erneut, nach der Ausstellung „Echt mein Recht!“ in 2018, mit dem Petze-Institut für Gewaltprävention zusammengearbeitet.
In Folge einer Risiko- und Potenzialanalyse wurden Baustellen erkannt und in inklusiven Arbeitsgruppen, mit Fachkräften und Experten in eigener Sache, bearbeitet. In 2024 wurden die Ergebnisse (z.B. Selbstverpflichtungserklärung für angestellte Mitarbeiter*innen sowie Mitarbeiter*innen kooperierender Firmen, Forderungskataloge von Menschen mit Beeinträchtigungen zu Umgangsformen sowie Verhaltensampeln) u.a. durch Tandem-Teams nach und nach eingeführt.
Der nach Corona wieder aktivierte Qualitätszirkel Sexualität und Gewaltschutz ist inklusiv/partizipativ besetzt. Diese Arbeitsform soll perspektivisch auch auf andere Arbeitsgruppen übertragen werden.